Samstag, 13. Oktober 2012

Loveschock

Love-Schock

(suh) Ruhig ist es um uns geworden, die letzten Tage und Wochen. Sehr ruhig.. Das heißt nicht, dass nichts passiert wäre, eher im Gegenteil: Eine ganze Menge ist passiert! Man wurde seiner Mündigkeit entmachtet und seiner Freiheit beraubt. (Achtung! Dies war eine Hyperbel und hat nichts mit der koreanischen Regierung oder gar mit einer Intervention Nordkoreas zutun). Die Institution, die die es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, internationalen Studierenden an der Keimyung Universität das Leben schwer zu machen, schimpft sich KELI House. Damit einher geht gleich das inzwischen allzu sehr geliebte Wort "curfew", was sich bei uns wohl bis zu unserem Lebensende so ins Gedächtnis eingebrannt hat, dass es bestimmt niiiieee wieder eines Wörterbuchs bedarf, um dessen Bedeutung erfassen. 

(lk) Das KELI - alias Love - House von vorne. Sieht ja ganz nett aus. Dachten wir uns auch, als wir zum ersten mal hier waren. Aber der Schein trügt. Hier wird ein sehr hartes Verständnis der Liebe gelebt. 










(suh) In etwa fünf Wochen ist also nun her, dass wir in das Heim eingezogen sind, das sich für vier Monate unser zu Hause nennen soll. Nachdem wir die Uni in strahlendem Glanz präsentiert bekommen haben und wir auch sonst in Korea nur auf äußerst komfortable Unterkünfte gestoßen sind, hießen uns hier erst einmal Müllberge, tote Tierchen, ein miefiger Geruch, sowie Haare über Haare und Wattestäbchen unserer Vorgänger willkommen. Die Zimmer klein, eng und ungemütlich, die Gemeinschaftsräume heruntergekommen und mangelhaft ausgestattet, die Badezimmer und Duschräume verdreckt und unzumutbar. Ja, ich gebe zu, ein wenig spricht hier auch die Tussi aus mir, die ganz deutsch und das von Mama eingeimpfte Rein(heits-/)lichkeitsgebot schon von Kindheitstagen an impliziert bekommen hat. Lucas - ganz Mann - konnten diesen Wohnheimsschock doch ein wenig besser wegstecken als ich. Ohhhh, wie ich doch mein wunderschönes, gemütliches und luxuriöses(!!!) Hotel Nobel im idyllischen Bayreuth vermisse! Inzwischen ist also so einiges an Zeit vergangen. Das heißt nicht, dass sich hier der Lebenskomfortstatus irgendwie gebessert hätte, sondern deutet jediglich nur darauf hin, dass ich nach und nach gelernt habe meinen Würgreiz entsprechend zu kontrollieren. So weit es geht, umgehe ich daher das so lieblich anzuschauende KELI House und befinde mich tagsüber außerhalb des Gebäudes, bis man uns um 23:00 Uhr dann schließlich in die Anstalt für entmündigte Volljährige wieder einsperrt. 23:00? Drei-und-zwanzig Uhr????? DREI-UND-ZWANZIG UHHHHHR????? Wirklich? Das muss ein Fehler sein! Das gilt nur für Koreaner, aber nicht für uns. Für uns Deutsche. Für alle Austauschstudenten, bei denen Mama in der Heimat längst nicht mehr vorgibt, wann man zu Hause sein muss, kontrolliert, ob man Alkohol getrunken hat und schimpft, wenn der Atem Zigaretten vermuten lässt. Für uns, die doch wissen, dass die Freiheit zwei Seiten einer Medaille hat, aber für die Freiheit auch die Verantwortlichkeit für sein Tun und Handeln bereitwillig in Kauf nehmen. Lucas und ich waren geschockt! So geschockt, dass wir zu Beginn noch alle Optionen in Betracht gezogen haben, um aus diesem Gefängnis so schnell wie nur möglich wieder rauszukommen. Aber wie eine gemeinsame Wohnung finden, wenn der Kreis an Beziehungen sehr klein ist, Wohnungsbörsen  allein in Hangeul auffindbar sind und die uns anvertrauten Buddies entweder sprachlich oder interpersonal überfordert sind? Unsere Optionen beschränkten sich also kurzer Hand nur noch auf eine: Ein Leben im Haus freiheitsberaubter Volljähriger, eingesperrt mit Koreanern, die man 24 Stunden am Tag zum Lernen zu zwingen versucht und ihnen keine Spur an Eigenverantwortung und Selbstdisziplin zuzutrauen scheint. 



(lk) Besonders putzig: wenn man am Wochenende außerhalb des Wohnheims schlafen will, dann muss man eine "Sleep out application" ausfüllen. 







(suh) Hier ein kleiner Einblick in mein schönes neues zu Hause. Ich habe mir gar nicht erst die Mühe gemacht aufzuräumen. Aufräumen würde hier eh nur bedeuten meinen ganzen Kram von einer Ecke in die andere zu räumen. Mehr lässt dieser kleine Raum, bewohnt von mir und meiner netten koreanischen Mitbewohnerin, auch gar nicht zu.






(suh) Hier noch einmal die Honey Moon Suit in voller Pracht. Das Schlafgemach, wo die KELI-Liebe nur so wächst und gedeiht.


(suh) Damit man mich im Love-Haus auch findet, ziert meine Tür auch ein schönes Schild mit meinem Namen, der offenbar zuerst vom Deutschen ins Hangeul übersetzt wurde, um dann schließlich wieder ins romanische transformiert zu werden.

Der Flur - sehr einladend, oder? Könnte durchaus auch als Kulisse für einen netten Psychothriller oder ähnliches herhalten..





(suh) KELI steht im Übrigen für "Keimyung English Language Institute", was sich die Bezeichnung "Institute" bestimmt nur aus dem Grund gegeben hat, weil KELP (P wie Prison) schlicht und einfach nicht so gut klingt. "Prison" wäre allerdings in mancher Hinsicht wohl doch die treffendere Bezeichnung gewesen, denn nach 23:00 Uhr ist auch kein Ausbrechen mehr möglich: Die Fenster vernagelt mit Netzen, die Türen versperrt und die Feuerleiter, sowie alle übrigen Fluchtmöglichkeiten vergittert und verriegelt. 

(lk) Und das mit dem Vergittern ist kein Witz. Ein Treppenaufgang im Freien hat seltsamerweise nur im unteren Stockwerk ein Gitter. Fenster im Erdgeschoss sind gerne mit seltsamen Zäunen versehen, die ein Heraus- und Hereinklettern unmöglich machen. Wenn sich einzelne Fensterflügel öffnen lassen, wie hier links zu sehen, dann macht man im Erdgeschoss gerne nochmal ein Gitter davor. Nachts patrouillieren hier Wärter mit Taschenlampe um die Gebäude herum. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass es hier weniger darum geht Einbrecher fern zu  halten. Korea ist eines der sichersten Länder der Welt.   




(suh) Unser nun so lieb gewonnenes KELI-Haus, welches hier übrigens neben den weiteren vier Wohnheimen "Trust", "Justice", "Truth" und "Hope" das "Building of Love" ist, produziert so viel Nächstenliebe, dass es sogar Regeln des Selbstschutzes festgelegt hat, aus Angst, man könnte von zu viel Liebe überschwemmt werden. Aus diesem Grund sind Besuche des anderen Geschlechts in unseren so kuschlig einladenden Liebesnestern zu jeder Zeit strengstens untersagt. Somit wir also unser Leben in die liebevolle KELI-Aufsicht gegeben haben, wird dies auch in regelmäßigen Abständen von den "Floorleadern" überprüft. Freundlich und im mühsam formulierten Englisch wurde ich daher letztlich gebeten meinen Kleiderschrank zu öffnen. Ich hielt es zuerst für einen kindischen Schwerz, aber nein, sie war wohl offenbar der Meinung, ich wolle darin einen kleinen Koreaner verstecken!


Unsere Love-House besitzt neben seinen so unzähligen, von uns schwer geschätzten Macken noch eine weitere herausragende Einzigartigkeit. Eingetreten durch die verwunschenen Tore des KELI Houses befindet man sich wie von Zauberhand geschaffen in der "English speaking only Zone"! Es versteht sich von selbst: Hier ist nur Englisch erlaubt! Und "Watch out!", Agents beobachten dich und du kannst nie wissen, hinter welcher Ecke sich der nächste versteckt. Wirst du erwischt, musst du (das heißt, die Koreaner) 50 000 Won löhnen!


(lk) Betrachtet man das Bild hier rechts, so scheint mir eine wunderbare, fränkische Redewendung passend. "Dumm wie geklopfter Kuhdreck". "You never know who is watching you" kann manchmal ziemlich absurd werden. Man hat es hier teilweise mit einer interessanten Form von Denunziation zu tun. Dazu von mir später noch mehr. 











(suh) Für mich persönlich ist das ein wenig beschämend zu betrachten. Sollte man in diesem Alter nicht inzwischen den Eigenwillen entwickelt haben, sich stets weiterbilden zu wollen? Sollte man inzwischen nicht herausgefunden haben, dass man das für sich selbst, seine Zukunft und seine Wünsche tut und nicht, weil einem das jemand anderes befiehlt?
Grundsätzlich scheint hier einfach eine andere "Lernmentalität" und Einstellung zur Bildung vorzuliegen. Denn auch die Kurse an der Uni erinnern eher an den Klassenunterricht in der Oberstufe in Deutschland: Maximal 20 Leute, der Lehrer predigt (mit einem Mikrophon, auch wenn nur 5 Personen im Raum sind), die Schüler schlafen. Das ist natürlich übertrieben, aber es gibt durchaus Kurse, die auch die inhaltliche Quantität und Qualität einer 11. Klasse nur geringfügig übersteigen. Grundsätzlich ist das allerdings nicht abzuwerten, denn diese wenigen, aber essentiellen Dinge, die man hier in einer Lehrstunde vermittelt bekommt, bleiben wenigstens im Kopf. Dennoch die Kompetenzen einiger Kommilitonen lassen mich weiterhin zweifeln und die Qualität der Lehre in Frage stellen. Vieles wird häufig nur reproduziert, auswendig gelernt und wiedergegeben. Kritisches und kreatives Denken wird dabei meist uns Austauschstudenten überlassen und auch angesichts der enormen Affinität zur Technik hatte ich bessere Präsentationsskills und kommunikative Fähigkeiten erwartet. Trotz allem möchte ich das hier nicht pauschalisieren, ein jeder von uns kennt ja schließlich die Probleme der Repräsentativität solcher Stichprobenverfahren. Statistische gesehen befindet sich Korea zumindest an der Spitze bei der digitalen Lese- und Lernfähigkeit von Jugendlichen. Bedauerlicherweise bin ich allerdings bei diesen Nachforschungen gleichzeitige auf eine weitere interessante Studie der OECD gestoßen, die belegt, dass koreanische Kinder wohl die unglücklichsten entlang der OECD-Staaten sind. Was mich wiederum auf einen weiteren, jedoch weitaus unwissenschaftlicheren Artikel stoßen ließ, worin man unter anderem beklagt, dass die universitäre Ausbildung der Studenten nur geringfügig eine gute Vorbereitung auf den Job darstellt. Eigentlich hatte ich nur mit Stöbern nach weiteren Informationen angefangen, um meinen Bericht mit einem positiven Satz enden zu können. Leider ist das nun nicht ganz so gelaufen wie geplant, das Internet gibt eben doch einfach zu viel Preis.. 
(siehe http://www.oecd.org/newsroom/educationkoreatopsnewoecdpisasurveyofdigitalliteracy.htm und http://www.koreatimes.co.kr/www/news/nation/2012/05/117_110307.html  sowie http://english.chosun.com/site/data/html_dir/2011/06/08/2011060801059.html ).

(lk) Während Susan in den ersten Tage im September doch sehr mit unserer neuen Bleibe zu kämpfen hatte, habe ich einfach meinen Humor benutzt. Denn es gilt immer - solange man sich drüber lustig machen kann ist alles halb so schlimm. :-) 
Das Wohnheim ist tatsächlich verhältnismäßig heruntergekommen, effektive Methoden zur Reinigung sind entweder noch nicht erfunden worden oder aber Samsung hat noch nicht daran geforscht, was in etwa auf das Gleiche hinausläuft. Das, was uns hier am meisten zu schaffen  macht ist das Gefühl eingesperrt zu sein. Sich einfach mal Abends vor das Haus zu setzen ist nach 11 nicht mehr möglich. Man muss (oder soll) vielmehr um 11 in seinem Zimmer sein, damit ein "Floorleader" die Anwesenheit von einem checken kann. Theoretisch sind Besuche im Zimmer des anderen Geschlechts untersagt, man kommt dann nur ins Grübeln, wenn sich die "Floorleader" da teilweise selbst nicht dran halten. 

Wie dem auch sei, es gibt wieder ein Lebenszeichen von uns.



1 Kommentar:

  1. Oha ihr macht ja was mit! Lasst euch nicht unterkriegen! Könnt ihr da nich eine revolution starten, des muss doch den anderen bewohnern auch so gehn? Oder gibts da Spitzel? Ihr habt doch dafür bezahlt! Ein Unding is das...

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